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Donnerstag, 28. Dezember 2017


Vom Zauber lösungsorientierter Fragen: Wunder und Ausnahmen, Skalen und Hypothesen

Gerade in Krankenhäusern erleben wir häufig eine stark problemorientierte Kommunikation. In scheinbar endlosen Runden werden Probleme von allen Seiten beleuchtet und diskutiert - bis die Beteiligten in eine Art Problemhypnose fallen. Diese ist fast körperlich zu spüren. Man wird von der Last der Probleme geradezu in den Stuhl gedrückt. Angesichts der Problemfülle entsteht ein Gefühl der Hoffnungslosigkeit und Ohnmacht. Selbstwirksamkeit ade. Spätestens an diesem Punkt ist es Zeit für ein bisschen Zauber der lösungsorientierten Fragen.

Machen wir hierzu einen kleine Ausflug in die „lösungsorientierte Kurzzeittherapie“. Steve de Shazer (amerikanischer Psychotherapeut, 1940-2004) hat diese Therapieform zusammen mit seiner Frau Kim Berg 1982 entwickelt.[1] In ihrem neuen Therapieansatz folgten die beiden der Annahme, dass es hilfreicher ist, sich auf Wünsche, Ziele, Ressourcen und Problem-Ausnahmen zu konzentrieren anstatt auf das Problem und seine Entstehung. So hat Steve De Shazer viele Menschen mit der lösungsorientierten Kurzzeittherapie „geheilt“ - ohne jemals über ihr Problem gesprochen zu haben. Er umschreibt dies mit der folgenden Metapher:

Wenn ich in einem Hochhaus bin und es brennt, hilft es relativ wenig, wenn ich frage "Wie ist der Brand entstanden?" und relativ viel, wenn ich frage "Wo ist der Notausgang?".

In der Umsetzung nutzte Steve de Shazer dazu seine Wunderfrage:

Jetzt habe ich noch eine ungewöhnliche Frage: Stellen Sie sich vor, unsere Sitzung wäre zu Ende und Sie fahren nach Hause, verrichten noch die Dinge, die Sie heute verrichten wollen. Irgendwann werden Sie Abendessen und dann beschließen ins Bett zu gehen. Sie gehen in Ihr Schlafzimmer und legen sich in Ihr Bett und Sie schlafen ein. Während Sie schlafen, geschieht ein Wunder. Am nächsten Morgen wachen Sie auf und Sie wissen nicht, dass das Wunder geschehen ist. Das Wunder besteht darin, dass das Problem, wegen dem Sie hier sind, nicht mehr existiert. Woran würde Sie es als erstes merken, dass das Problem sich aufgelöst hat?

Es braucht das Fingerspitzengefühl, die Frage dann anzuwenden, wenn der Boden dafür bereitet ist. In keinem Fall dürfen sich Teilnehmer, gerade verschaukelt fühlen. Zu Beginn eines Projektes lässt sie sich abgeschwächt integrieren wie: „Stellen Sie sich vor, wir hätten das Projekt gemeinsam durchgeführt, wir hätten jetzt schon einige Wochen zusammen gearbeitet, wären irgendwann am Ende des Projektes angekommen und Sie würden sagen, es war gut, dass wir dieses Projekt durchgeführt haben. Woran würden Sie merken, dass es gut war, das Projekt aufgesetzt zu haben? Was wäre dann anders?“ 

Bei den Antworten auf diese Frage, gilt es etwas genauer hin zu hören und zu präzisieren, damit aussagekräftige Bilder entstehen. So ist z. B.

►   Pauschalierung zu hinterfragen: „Dann wäre ich glücklicher.“
–      „Woran würden Sie das merken?“
–      „Was würden Sie dann anders machen?“

►   Negative Formulierung zu hinterfragen: „Dann hätten wir nicht mehr so viel Stress.“
–      „Was stattdessen?“
–      „Woran würden Sie das merken?“
–      „Woran würden Sie das noch merken?“ (lässt sich u.a. in Bezug auf die Ebenen Raum, Zeit, Beziehung abfragen)

►   Fokus bei den handelnden Person zu halten: „Dann würde die Abteilung xy besser mitarbeiten.“
–      „Auf welches Verhalten/ welche Veränderung von uns würde das zurück gehen?“

Ergänzend zur Wunderfrage nutzte Steve de Shazer die Ausnahmefrage, um vorhandene Ressourcen zu mobilisieren: Nachdem wir also zuerst in die Zukunft gegangen sind und den „Lösungszustand“ gesucht haben, fragen wir, wann es in letzter Zeit schon so oder annähernd so gewesen ist und was für Bedingungen dafür nötig waren bzw. was die handelnden Personen dazu beigetragen haben. Damit mobilisieren wir die schon vorhandenen Ressourcen und identifizieren gleichzeitig Schlüsselfaktoren für die Veränderung:

–      „Wann in letzter Zeit war es schon mal ein bisschen so wie nach dem Wunder?“
–      Und in der Folge: „Was waren damals die Konditionen, dass es anders sein konnte. 
–      Was war Ihr Beitrag dazu, dass es anderes sein konnte?“

Ein weiteres Instrument zur Durchbrechung der Problemhypnose sind Skalierungsfragen. Sie haben den Vorteil, dass sie Zwischenräume erzeugen. So relativiert die Frage, „auf einer Skala von 1 bis 10, wobei 1 ‘ganz schrecklich und nicht auszuhalten bedeutet und 10 für ‘super gut und nicht besser zu machen‘ steht, wie bewerten Sie die aktuelle Situation?“. Über diese Bewertung zeigt sich, dass die Situation oft gar nicht so fürchterlich ist. Legt der Mitarbeiter sich z. B. auf eine 5 fest, kann eine Folgefrage lauten, „was müssen wir tun, um zu einer 5,5 zu gelangen?“. Damit lädt man die Mitarbeiter zum Nachdenken ein und eröffnet gleichzeitig den Raum für kleinere Verbesserungsschritte. 

Hypothetische Fragen helfen Raum für Optionen zu schaffen und den Teilnehmern ein Gefühl von Gestaltbarkeit zu vermitteln. Dabei ist es wichtig zu bedenken, dass diese Fragen Prozesse in Gang bringen sollen und es weniger darum geht, die geschaffenen Optionen auch tatsächlich zu verwirklichen. Hypothetische Fragen beginnen mit „Angenommen Sie würden...“. Es wird etwas hypothetisch angeboten und anschließend hinterfragt, was sich dadurch ändern würde. Also, „angenommen Sie würden xyz machen – würde das für Sie etwas ändern und wenn ja, was genau würde sich ändern?“. Auf diese Weise lassen sich verschiedene Szenarien durchspielen und man kann die Resonanz darauf prüfen. Gerade in Situationen, in denen die Mitarbeiter das Gefühl haben, sie können doch nichts ändern oder bewegen, schaffen hypothetische Fragen einen optionalen Raum von „ich kann doch noch aktiv sein“ und damit eine Atmosphäre der Selbstwirksamkeit – eine der Voraussetzungen für Zufriedenheit.

Prüfen Sie für sich selbst, wie oft im Führungsalltag Sie der Problemhypnose erliegen und experimentieren Sie mit dem Zauber der lösungsorientierten Fragen. 


[1] Vgl. hierzu Steve de Shazer:  Wege der erfolgreichen Kurzzeittherapie, 9.  Auflage, 2010

http://newsletter.ruhl-consulting.de/nc/fruehere-newsletter/advent-2010/loesungsorientierte-fragen.html?print=1