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Lob der Pause – Warum unproduktive Zeiten ein Gewinn sind

Der Zeitexperte Karlheinz Geißler lädt uns ein, uns über den Sinn von Langsamkeit, Wiederholungen, Warten und Pausen Gedanken zu machen. Wortreich und amüsant beschreibt er unseren Umgang mit der Zeit: „Der Mensch ist gegenüber der ihn umgebenden Natur in vielerlei Hinsicht einzigartig. So ist er unter allen Lebewesen das einzige, das Zeit spart […]". Doch betrachtet man das, was bei den umfangreichen Zeitsparanstrengungen der Menschen herauskommt, wundert es schon ein wenig, dass sie dafür so viel Zeit aufwenden. Die Realität zeigt immer wieder, dass die Klagen „zu wenig Zeit zu haben“, mehr und mehr unter „Zeitdruck zu stehen“, in dem Maße zunehmen, wie Zeit gespart wird. Goethe wies bereits darauf hin und warnte: „Wir wollen alle Tage sparen und brauche alle Tage mehr“. Da liegt die Frage nahe: Könnte es nicht sein, dass wir mehr Zeit hätten und weniger unter Stress litten, wenn wir uns das ständige „Zeitsparen“ – sparen würden? Die Frage muss auch deshalb gestellt werden, weil wir sicher sein können, dass Zeit täglich aufs Neue nachkommt, und zwar exakt in der Menge, die Tag für Tag vergeht. Erstaunlich auch sind Aufwand und Leidenschaft, mit denen wir versuchen, Zeit zu „gewinnen“, um sie anschließend wieder zu „vertreiben“. Ganz zu schweigen von der brutalen Unsitte, die Zeit „totzuschlagen“. Geißler spricht von den verschiedenen Zeitqualitäten, von Zeitkultur. Ein zeitsattes, zeitvolles und zeiterfülltes Leben braucht für ihn beides – den Widerspruch und den Ausgleich der Gegensätze von Beschleunigung und Stillstand, von Kurzfristigkeit und Langfristigkeit, von Mobilität und Sesshaftigkeit. Er bricht eine Lanze für die „Vielzeitigkeit“ und verdeutlicht dies am Beispiel der Musik, die für ihn vertonte Zeit darstellt. Mozart arbeitete mit 23 verschiedenen Tempi, allesamt angesiedelt zwischen „langsam“ und „schnell“. Man entdeckt bei Mozart u. a. Andantino (ein wenig gehend), Andantino sostenuto (ein wenig zurückhaltend gehen), Andantino grazioso (lieblich gehend), das Andante (vorwärts gehend, nicht zu langsam), Andante maestoso (majestätisch gehend), Andante agitato (erregend gehend), Allegretto vivo (etwas schnell und lebhaft), Allegro comodo (bequem, aber schnell), Allegro (lustig, heiter) und Presto con fuoco (sehr schnell und feurig). Mozarts Melodien machen das Innehalten so attraktiv wie die Schnelligkeit, das Abbremsen so schön wie die Beschleunigung. Wer kann von sich noch behaupten, Zeit in all diesen Qualitäten bewusst zu durchleben? Auf diese Art gibt Geißler Denkanstöße, wie wir wieder reicher an Zeitformen werden, enthetzen statt entschleunigen und zu angemessenen Geschwindigkeiten zurück finden. Er spricht von Wiederholung – dem Rhythmus als „Erinnerung nach vorne“, vom Glück des Wartens und von den Pausen – den Leuchttürmen des Daseins. Eine „Zeitreise“, die inspiriert und Spaß macht.

 

 Karlheinz A. Geißler, Lob der Pause – Warum unproduktive Zeiten ein Gewinn sind, oekom Verlag, München 2010

       

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