Das Wertequadrat – Basis für fördernde Kritikgespräche

Das Wertequadrat hat eine lange Geschichte. Ideengeber war Aristoteles, entwickelt hat es Paul Helwig 1967 [1], Friedemann Schulz von Thun hat es 1989 [2] für die Kommunikation und Persönlichkeitsentwicklung entdeckt und Maren Fischer-Epe [3] verwendet es als Basis für das fördernde Kritikgespräch.

Die Grundidee des Wertequadrates ist, dass es in Bezug auf Charaktereigenschaften oder Vorgehensweisen immer einen Wert und einen Gegenwert gibt.

Nehmen wir den Wert „organisiert/ planend“, dann lautet der dazugehörige Gegenwert z. B. „flexibel/  improvisierend“.  Wenn man eine der Eigenschaften besitzt, hat man den dazugehörigen Gegenwert eher nicht. Zudem wird der Gegenwert oft von dem, der den Wert hat, nicht als Qualität oder gute Ergänzung zum eigenen Wert anerkannt. Meistens wird er in der negativen Übertreibung gesehen. Diese ergänzt das Wertequadrat und so wird aus „organisiert/ planend“ dann „pedantisch“ und aus „flexible/ improvisierend“ wird „chaotisch“.  

Die negative Übertreibung stellt gleichzeitig auch das Risiko des Wertes dar. Für die persönliche Entwicklung ist es daher wichtig, die eigenen Werte zu kennen und in der Entwicklungsperspektive durch Gegenwerte positiv zu ergänzen, um so eine gesunde Balance zu erhalten und zu vermeiden, selbst in die negative Übertreibung abzurutschen. Eine Graphik aus dem Buch von Schulz von Thun veranschaulicht diese Grundüberlegung sehr treffend:

Die Anwendungsbereiche im Führungsalltag sind vielfältig. So bietet das Wertequadrat eine gute Grundlage für die Analyse und Schlichtung von Konfliktsituationen. Wenn z. B. Schwierigkeiten in einem Team auftreten, kann man häufig beobachten, dass in der negativen Übertreibung kommuniziert wird. Die jeweilige Partei wirft der anderen die negative Übertreibung vor; die mögliche wertvolle Ergänzung wird nicht mehr gesehen. Als Führungskraft kann man in der Situation die Umdeutung anbieten und den Gegenwert konstruieren. Diesen kann man dann als Impuls und als Idee einbringen und das jeweils Gute im Gegenwert herausarbeiten. Andere Anwendungsbereiche finden sich in der direkten Mitarbeiterführung. Dazu wollen wir uns im Folgenden die Idee von Maren Fischer-Epe, das Wertequadrat als Grundlage für ein förderndes Kritikgespräch, etwas näher anschauen.

Wer kennt diese Situation nicht? Sie haben einen Mitarbeiter, der insgesamt sehr gute Arbeit leistet. Es gibt jedoch eine Verhaltensseite, die Ihnen Anlass zur Kritik gibt. Natürlich möchten Sie das notwendige Kritikgespräch gerne so aufbauen, dass der Mitarbeiter die Kritik annimmt und gleichzeitig motiviert bleibt. Die Grundidee zum Aufbau des Gespräches ist der Gedanke, dass der Mitarbeiter einen Ergänzungsbedarf hat. Zur Vorbereitung auf das Gespräch richten wir uns daher zuerst einmal im Wertequadrat ein. Dort steht als erstes die Frage: Welchen Wert zeichnet unseren Mitarbeiter aus? Was ist also seine Stärke? Damit wird auch das Gespräch eingeleitet. Z. B. „Ich schätze Ihre Bereitschaft, sich flexibel auf alle Anforderungen einzulassen und insbesondere Ihre Kreativität und vielseitigen Ideen in der Umsetzung.“ In einem zweiten Schritt wandern wir vom Wert zum Gegenwert und können nun die Ergänzung thematisieren: „Was ich mir wünschen würde ist, dass Sie diese Stärken zunehmend durch mehr Strukturiertheit und Termintreue ergänzen.“ In einem dritten Schritt grenzen wir die negative Übertreibung des Gegenwertes aus: „Dabei ist mir wichtig, Ihnen zu sagen, dass ich damit nicht möchte, dass Sie jetzt beginnen, pedantisch und griffelspitzerisch Ihren Dienst zu verstehen. Das würde auch gar nicht zu Ihnen passen und ist auch überhaupt nicht das, was Sie auf eine gute Weise ergänzt.“ Im letzten Schritt können wir dann noch die negative Übertreibung des Wertes ansprechen: „Wichtig ist mir, dass Sie Ihre Spontanität und Kreativität erhalten. Manchmal führt diese Spontanität jedoch dazu, dass Sie den roten Faden verlieren oder Termine nicht einhalten. Daher wäre etwas mehr Struktur für Sie sehr förderlich.“

Beobachten Sie dies mal bei sich selbst. Wenn Sie z. B. jemand sind, der eher strukturiert arbeitet und einen Mitarbeiter haben, der eine gewisse Spontanität an den Tag legt, werden Sie vielleicht auch denken: Mein Gott, ist der chaotisch. Also auch eher in die negative Übertreibung gehen. Sie werden sich wahrscheinlich sagen: „Der braucht einfach mehr Struktur.“ Anstatt das Gespräch nun aber so aufzubauen: „Sie sind manchmal wirklich ein Chaot und brauchen definitiv mehr Struktur.“ ist es besser, die Ergänzung zu formulieren und dabei die negative Übertreibung der Ergänzung gleich auszuschließen. Alles andere bringt beim Gegenüber eher Widerstand im Sinne von: „Ok, dann mach ich eben so eine Pedanterienummer und Dienst nach Vorschrift.“ Das bedeutet, die Ergänzung wird nicht als solche gesehen, sondern in ihrer negativen Übertreibung wahrgenommen.

Wichtig ist in dem fördernden Kritikgespräch anzuerkennen, was der Mitarbeiter gut kann. Im Anschluss daran das vorzubringen, was man sich als Ergänzung von dem Mitarbeiter wünscht. Dabei sollte man die negative Übertreibung dieser Ergänzung ausschließen, um so möglichem Widerstand den Wind aus den Segeln zu nehmen. Zudem benennt man auch, dass die Qualität des Mitarbeiters ohne die Ergänzung in bestimmten Situationen die negative Übertreibung des Wertes annimmt. Damit lässt sich auch der Kritikpunkt sehr schön einbetten.

Probieren Sie es aus und berichten Sie uns von Ihren Erfahrungen.

[1] Paul Helwig: Charaktereologie, 1967

[2] Friedemann Schulz von Thun: Miteinander reden 2 – Stile, Werte und Persönlichkeitsentwicklung, 1989

[3] Maren Fischer-Epe, Schulz von Thun: Coaching: Miteinander Ziele erreichen, 2004