Einführung einer Arztassistenz

Delegation, Substitution und Neuallokation ärztlicher Tätigkeiten war eine der zentralen Leitfrage von Hedwig François-Kettner als wissenschaftliche Leiterin auf dem Hauptstadtkongress 2015. Zunehmende Spezialisierung, Arbeits- und Komplexitätsverdichtung in der Patientenversorgung, Personalnot im Bereich des Fachpersonals - insbesondere der Ärztemangel in ländlichen Regionen - und Sparzwänge, aber auch immer besser ausgebildetes Pflegepersonal, das entsprechend qualifiziertere Tätigkeiten ausüben will, werfen die Frage der Organisation der Arztassistenz jenseits aller machtpolitischen Fragen neu auf, die über die Assistenzfunktion hinaus bis zur Implementierung neuer Berufsbilder und die Diskussion diesbezüglicher haftungsrechtlicher Fragestellungen reichen.  

In einem Pilotprojekt war dabei interessant, wie die Rolle der Arztassistenz über einen gemeinsamen Schulterschluss von Arzt, Pflege und Geschäftsführung zunächst unter den gegebenen Rahmenbedingungen fruchtbar ausgestaltet werden kann. Alle sollten am Ende durch abgestimmte berufsgruppenübergreifende Zusammenarbeit ihre Arbeitskraft so effektiv wie möglich für das gemeinsame Ziel einbringen. Während in der Pflege zur Entschärfung der Belastungssituation schon länger spezialisiertes Personal einsetzt, um sich von organisatorischen und administrativen Aufgaben zu entlasten, gab es ähnliche Konzepte im ärztlichen Dienst bislang nicht. Im Rahmen des Projekts an der Universitätsklinik sollte nun nichtärztliches Personal eingestellt werden, um gezielt die Ärzte in ihren Arbeitsabläufen zu unterstützen und zu entlasten.     

Umsetzung
Ausgangspunkt des Projekts war die Feststellung, dass Ärzte heute eine Vielzahl von Tätigkeiten übernehmen, die weder ärztliche Vorbehaltsaufgabe darstellen noch ärztliches Hintergrundwissen erfordern, dennoch aber einen beträchtlichen Anteil der Arbeitszeit binden. Bei jeder Arztrotation wird der Routineprozess in den Arbeitsbereichen gestört und muss aufwändig wieder neu aufgebaut werden.  

Zu Projektbeginn wurde daher zunächst das künftige Aufgabenprofil der neuen Funktion umrissen. Um die Funktion auch begrifflich von den bereits vorhandenen wie z.B. StationssekretärIn, StationsassistentIn und Case- bzw. BettenmanagerIn abzugrenzen und gleichzeitig den Fokus auf die Unterstützung der Ärzte herauszustellen, wurde die Bezeichnung Arztassistenz gewählt. In mehreren berufsgruppenübergreifend zusammengesetzten Arbeitsgruppensitzungen wurde ein Organisationshandbuch Arztassistenz erarbeitet. Die einzelnen künftigen Aufgaben der Arztassistenz wurden priorisiert, mit den Tätigkeiten der anderen Unterstützungsfunktionen und Berufsgruppen bis hin auf Ebene der Tagesablauforganisation abgestimmt und verzahnt. Ausgehend von dem künftigen Aufgabenprofil und dem Arbeitsaufkommen wurde der Bedarf an Vollkräften Arztassistenz ermittelt. Es ergab sich inkl. gegenseitigem Vertretungskonzept ein Bedarf von vier Mitarbeitern, d.h. grundsätzlich eine Arztassistenz je Pflegestation der Abteilung.  

Besondere Bedeutung wurde dem Auswahlprozess der künftigen Mitarbeitenden zugemessen. Im Vorfeld wurden relevante fachliche und persönliche Qualifikationen gesammelt und der Auswahlprozess in mehreren Stufen so gestaltet, dass beide Seiten individuell einen umfassenden Eindruck erhalten konnten. Ebenfalls wurde bereits vor Einstellung der Arztassistenz ein Einarbeitungsleitfaden mit relevanten Einarbeitungsinhalten für den ersten Monat in der neuen Funktion als Arztassistenz erstellt. Auswahl-, Instruktions- und Überwachungspflichten sowohl des verantwortlichen Oberarztes als auch der Organisation wurden so prozessual aufgesetzt. Mit zunehmendem Eingespieltsein sind die Aufgabenbereiche unter Sicherstellung der persönlichen und fachlichen Qualifikation noch erweiterbar.  

Ergebnisse
Nach sechs Monaten haben sich die ArztassistentInnen gut in die Abläufe der Stationen integriert. Die Ärzte berichten trotz erheblicher Casemix- und Leistungsausweitung von einer spürbaren Entlastung. Auch die ArztassistentInnen sind mit ihrer Funktion sehr zufrieden. Für nichtärztliches Personal wie Pflegekräfte, Arzthelferinnen oder MFAs stellt die Funktion Arztassistenz ein attraktives und verantwortungsvolles Aufgabenfeld an der Schnittstelle zwischen Arzt und Patient dar. Während die Ärzte aufgrund der Ausbildungsrotation auf Station regelmäßig wechseln und jeder Stationsarzt nur einen Teil der Patienten auf Station versorgt, sorgen die ArztassistentInnen für Kontinuität in der Patientenversorgung, übernehmen Verantwortung für die Prozesskontinuität und den Verbesserungsprozess und haben stets die gesamte Station im Blick. Die Pflege kompensiert weniger Organisationsdefizite im Stationsbetrieb, da die Aufgabenbereiche weiter geklärt sind. Dies trägt erheblich zur Stressreduktion bei.  

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Einführung einer Funktion Arztassistenz tatsächlich für alle Beteiligten ein großes Potenzial zur Fokussierung auf die eigene Kerntätigkeit birgt. Aufgaben und Abläufe auf Station lassen sich durch eine klare Prozessorganisation dauerhaft und nachhaltig neu ordnen und optimieren. Dabei sind stets die individuellen Kontexte und Gegebenheiten vor Ort sowie die vorhandenen Ressourcen zu berücksichtigen, um passgenaue Lösungen für die Organisation zu schaffen. In diesem Fall funktioniert es aufgrund der Personalien auf der mittleren ärztlichen Führungsebene und dem Organisationsgrad der Fachabteilung gut, dass die Führung der Arztassistenzen direkt in ärztlicher Hand liegt.